Rückblick auf den November 2015, der in dem Brackweder Stadtteil Ummeln, in der eigentlich besinnlichen Advents- und Vorweihnachtszeit, viel Unruhe auslöst. Innerhalb weniger Tage bringen Busse mehr als 550 geflüchtete Menschen in das eilig und notdürftig hergerichtete Quartier Zedernstraße. Das Quartier Zedernstraße wird damit Bielefelds größte Flüchtlingsunterkunft mitten im Zentrum von Ummeln, einem Stadtteil mit gerade mal um die 7.000 Einwohnern. Vor Ort sind hauptamtliche Mitarbeiter*innen des AWO Kreisverband Bielefeld e.V. und der Immobilienbewirtschaftung der BGW, aber auch rund 100 ehrenamtliche Unterstützer*innen, viele direkt aus Ummeln. Sie haben die Not und den Unterstützungsbedarf erkannt und spontan mit viel Tatkraft und Engagement geholfen.
Der Zuzug von rund 550 geflüchteten Kindern, Frauen und Männern ist im Jahr 2015 nicht vorbehaltlos auf freudiges Entgegenkommen der Ummelner Bevölkerung gestoßen. Zu fremd waren sich die Menschen auf beiden Seiten, die Einheimischen auf der einen Seite und die Zugezogenen auf der anderen. Ein Zitat ist für diese Zeit bezeichnend: „So viele fremde Menschen hier, die nicht unsere Sprache sprechen und so anders aussehen. Das macht mir Angst!“ Das Interessante daran ist, dass dieser Satz nicht nur von Einheimischen, sondern auch von Zugezogenen zu hören war! Es fällt auf, dass die Ängste und Befürchtungen auf beiden Seiten überraschend ähnlich sind!
Rund um das Quartier Zedernstraße hat sich das “Netzwerk Ummeln” gebildet. Das Netzwerk besteht aus etwas mehr als 50 Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und den hauptamtlichen Mitarbeiter*innen der Quartiers- und Sozialarbeit des AWO Kreisverband Bielefeld e.V.
Wir gestalten Begegnung in Ummeln gemeinsam!
Wir glauben, dass durch bürgerschaftliches Engagement das Zusammenleben im Quartier positiv und partizipativ gestaltet werden kann. Rückblickend auf die letzten 4 Jahre zeigt sich, dass durch die starke Verbindung zwischen ehren – und hauptamtlichen Engagement sichere Räume für zugezogene Menschen, aber auch für Einheimische geschaffen werden können.
Der Begriff sichere Räume im Zusammenhang mit Flucht und Migration stammt von Dr. Verena Plutzar von der Universität Wien. Sie definiert sie als: Sichere Räume in denen der Zustand des Nichtmehr – und Nochnicht ausgehalten und durchlebt werden kann.
Eine Gelingensbedingung, um diese sicheren Räume in und um das Quartier Zedernstraße zu schaffen ist in Bielefeld-Ummeln das starke Engagement von Akteuren vor Ort. Hier ist die evangelische Kirchengemeinde zu nennen, die gleich zu Beginn den Betrieb des Begegnungscafés, erst in den Räumen der Kirchgemeinde, dann in den Räumlichkeiten im Quartier Zedernstraße aufgenommen hat. Es wurden bereits im Vorfeld die Übernahme von Patenschaften für Familien und Alleinreisende organisiert. Durch Ehrenamtliche wurden die Geflüchteten bei Behördengängen und bei der Einrichtung der Bankkonten bei der Sparkasse begleitet. Erste Sprachkurse wurden von ehemaligen Lehrerinnen angeboten. Begleitet von Angeboten wie dem Strickkreis und der Nähgruppe entstanden erste Kontakte über das gemeinsame Zusammentreffen ohne Kenntnisse der deutschen bzw. der arabischen Sprache. Des Weiteren zu nennen ist das Engagement der Sportvereine VfL Ummeln mit der Tischtennisgruppe und der HSG, die im Quartier Zedernstraße die Fahrradwerkstatt unterhält. Mehrere Ausflüge wurden erfolgreich organisiert, Schwimmkurse ermöglicht, eine Fotoausstellung gestaltet. Ohne das starke ehrenamtliche Engagement vieler Ummelner Bürger*innen wären diese Angebote nicht denkbar. Sie bauen Brücken zwischen Neuzugezogenen und Einheimischen und machen Begegnung möglich. Sie schaffen offene und sichere Räume, in denen sich alle bewegen können.
Die Verbindung mit dem hauptamtlichen Engagement des AWO Kreisverband Bielefeld e.V. ist eine weitere Gelingensbedingung. Hier wird in einem dreiköpfigen Sozialarbeiter*innen Team die Einzelfallberatung der Bewohner im Quartier Zedernstraße gewährleistet. Diese Begleitung ist individuell auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten. Außerdem werden professionelle Hilfestellungen vom Sprachtreff über die Hausaufgabenhilfe bis hin zu speziellen Angeboten für Kinder und Jugendliche organisiert und koordiniert.
Der AWO Quartiersarbeit vor Ort, die mit einer Sozialarbeiterin besetzt ist, kommt eine besondere Bedeutung zu. Unter anfangs schwierigen Bedingungen wurde die Schaffung der sicheren Räume in Bielefeld-Ummeln koordiniert und begleitet. Die Bürgersprechstunde ist offen für alle Bewohner*innen Ummelns. Vernetzte, gemeinsame Aktivitäten, wie zum Beispiel der Arbeitskreis Ehrenamt, werden moderiert und begleitet. Der Aspekt der Nachhaltigkeit und der Verstetigung spielt hier eine große Rolle. Nur so kann Integration, auch langfristig gesehen, im Stadtteil gelingen.
In Ummeln ist gelebte Integration spürbar. Durch den Zuzug von vielen Menschen mit Fluchthintergrund hat sich das Bild des Ortsteils verändert. Nach anfänglichen Vorbehalten wird dies aber mittlerweile als Chance, nicht als negative Veränderung gesehen. Durch das gute Zusammenspiel von ehrenamtlich Engagierten, starken Akteuren vor Ort und der hauptamtlichen Begleitung des AWO KV Bielefeld e.V. ist es gelungen, viele Ängste und Befürchtungen durch konsequente Begegnungsangebote für alle Ummelner abzubauen. „Sichere Räume“ für Menschen in unsicheren Lebensbedingungen sind gemeinsam durch das „Netzwerk Ummeln“ geschaffen worden. Die ehemals geflüchteten Menschen sind nicht mehr kurzzeitige Durchreisende, sondern Bewohner des Stadtteils geworden, die einem geregelten Alltags- und Berufsleben nachgehen. Einige engagieren sich ehrenamtlich und sehen sich selber als Brückenbauer zwischen den Kulturen.
(Neue) Heimat zu gestalten und ihr eine Bedeutung zu geben, heißt, seiner Umwelt und der Gesellschaft offen und zugewandt gegenüberzustehen. Zugehörigkeit wird dadurch als identitätsstiftend wahrgenommen.
Unter dem Motto „Ich habe eine Stimme“ finden im Quartier Zedernstraße Diskussionsveranstaltungen mit Politikern*innen zum Thema Demokratie und Gleichberechtigung statt. Diese werden sowohl von Einheimischen, wie auch Menschen mit Fluchthintergrund besucht und tragen viel zum gegenseitigen Verständnis bei.
Diese Fülle an Engagement und die daraus entstandenen unterschiedlichsten Angebote führen zu einem gesellschaftlichen Umdenken, weg von Angst und Unsicherheit, hin zu einer offenen und vertrauensvollen Stadtgesellschaft.
Damit stellt das „Netzwerk Ummeln“ für uns ein tragfähiges Beispiel dar, wie gelebte Integration im Quartier funktioniert.
Text: Imke Meyer (AWO Quartiersarbeit), Ute Thiede (Netzwerk Ummeln)